Donnerstag, 4. April 2013

QualitätsReportagen

Beim Buchhändler zeitgenössische Lyrik zu finden, beispielsweise Doreen Malinka, ist aussichtslos. Das ganze Sortiment besteht aus Schnelldrehern. In den Massenmedien ist es ebenso. Masse bedeutet nicht viel im Sinne von Vielfalt, sondern viel im Sinne von alle berichten dasselbe. Trotzdem erreichen die klassischen Medien immer weniger Anzeigenkunden. Einer der Gründe für die schwindende "Artenvielfalt" in der Berichterstattung. Die Anzeigenkundschaft tummelt sich mehr und mehr bei GOOGLE, neben den populärsten Suchergebnissen. Die alten Massenmedien sind nicht konkurrenzfähig, weil ihre Auflagen beziehungsweise Quoten vergleichsweise niedrig sind. Die FAZ hat eine Druckauflage von rund 450.000 (Mediadaten II/2012). GOOGLE hat für das Wort "Merkel" momentan 68, 2 Millionen Suchergebnisse und pro Monat 1,2 Millionen globale Suchanfragen. Mit dieser Verbreitung können Offlinemedien nicht mithalten. Der konventionellen Journalie ist deshalb zu empfehlen, auf Themen mit weniger Wettbewerb zu setzen. Aber dieser Ruf bleibt ungehört. Außerdem zeugt die Atmosphäre in den Redaktionsbüros nicht mehr von Kultur und Wissen, sondern von Anzeigenumsatz und Erlös pro Kunde.

Spannende Nischenthemen finanziert niemand mehr: für "sowas" geben wir kein Geld aus! Journalisten, die sich ihren Idealismus bewahrt haben, suchen nach alternativen Finanzierungsmodellen. Nicht, um sich ihr Leben oder schöne Städtereisen bezahlen zu lassen, sondern um wichtige Geschichten zu erzählen, die sonst verloren gehen. In Deutschland heißt diese Alternative Krautreporter.

 


 

 

 

Hinter Krautreporter stecken zwei kluge Köpfe, die nicht länger nur reden und schreiben, sondern etwas für die Zukunft des Journalismus tun wollen, nämlich


  • Sebastian Esser: freier Journalist, Autor und Medienentwickler. Er war Chefredakteur des Medienmagazins V.i.S.d.P., Politikredakteur bei Vanity Fair und entwickelte Spredder, eine Onlinebörse für journalistische Texte.

  • Wendelin Hübner: Als PR-Manager bei ADIDAS hat er wohl kaum noch Zeit für Krautreporter.de. Aber irgendeinen Brotberuf braucht jeder. Hübner ist Journalist und Internetunternehmer. Er war Nachrichtenredakteur bei N24, schrieb für SPON, baute eine Onlinecommunity für Freizeitläufer auf und ist Gründer der Sport-Kommentatorenplattform marcel-ist-reif.de.  


Ein kurzer Blick in die USA zeigt, wie dort für Meinungsvielfalt gekämpft wird: 





Daneben gibt es für amerikanische Journalisten spot.us, community-funded reporting. Spot.us erreicht nicht nur Geldgeber für journalistische Projekte, sondern auch Medien, die das publizieren. Bis jetzt verzeichnet spot.us 19.900+ Contributors und 110+ Publishing Partners. Jetzt ist dort ein Funding gestartet, damit eine Bloggerin darüber berichten kann, warum in ihrem Wohnort New Hampshire Sozialwohnungen verkauft werden, um Geld für eine luxuriöse Parkanlage einzunehmen.

Zurück nach Deutschland. Außenstehende müssen verstehen, dass Journalismus auch im kleinen Maßstab keine gemeinnützige Veranstaltung, sondern ein Geschäft ist. Die Projektinitiatoren begeistern Menschen für ein bestimmtes Thema und diese Crowd bezahlt dann so etwas wie ein Eintrittsgeld, um an dem Projekt teilzuhaben. Erst zahlen, dann lesen!

Krautreporter erzeugt den nützlichen Nebeneffekt, dass sich um Crowdfunding-Journalismus herum eine Community aufbaut. Eine Community, die Qualität und Originalität will. Die Plattformbetreiber sorgen durch eine sorgfältige Projektauswahl dafür, dass das gelingt. Auswahlkriterien sind eine fixe Timeline für das Projekt sowie eine Selbstverpflichtung zur Einhaltung des Pressekodexes. Am besten funktioniert das Ganze auf lokaler Ebene. Das Internet ist eben auch und vor allem lokal, weil Vertrauen im eigenen Umfeld leichter entsteht als in 1.000 Kilometern Entfernung.

Der eigenen Finanzierung macht jedoch leider die deutsche Steuergesetzgebung einen dicken Strich durch die Rechnung. Es gelingt nicht, eine Körperschaft (Verein), die Crowdfunding betreibt, als gemeinnützig anerkennen zu lassen. Eigentlich nicht zu verstehen, denn die klassische Sammelbüchse karitativer Vereine ist nichts anderes. Gleichwohl, die an sich lebhaft interessierten Stiftungen Augstein, BMW und Wirtschaftsethik haben ihr Geld von Krautreporter zurück bekommen. Krautreporter ist jetzt "arm, aber sexy"; sexy bedeutet in diesem Falle: marktwirtschaftlich.

Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit sind auch hierzulande schützenswerte Güter. Beispielsweise ist die Einstellung des Peerblog völlig inakzeptabel. Es wurde behauptet, der SPD-Kanzlerkandidat habe mit seinem Blog gegen das Gesetz zur Parteienfinanzierung
verstoßen. Diese Behauptung ist falsch, wie im Berliner Tagesspiegel steht.  

In seinen Anfangsjahren stand der SPIEGEL für spannende, unabhängige und enthüllende Geschichten. Jetzt blickt man dort mit Wehmut auf Krautreporter.de:


Acht Projekte sind aktiv (Stand: 2. April 2013), darunter zwei neue:




39 Null war sage und schreibe nach drei Tagen voll finanziert, unglaublich! Inzwischen hat dieses Südtiroler Magazin vermutlich weit über 60 Unterstützer. 



Autor Van Le Bo-Mentzel sagte bei der co-funding-Konferenz 2012:



Crowdfunding beschreibt eine Aufbruchstimmung, die geprägt ist von Werten wie Transparenz, Demokratie und gesellschaftlicher Teilhabe.